Forschung

Prof. Dr. Peter Geiss

„Historia magistra vitae – eine Geschichte des Lernens aus der Geschichte“

Die epochenübergreifende Studie zeigt am Beispiel ausgewählter Entscheidungssituationen, wie politische und gesellschaftliche Akteure in verschiedenen Handlungszusammenhängen jeweils aus der Geschichte lernen wollten – oder zu lernen vorgaben.

Hinter dieser Befragung der „Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens“(Cicero) standen unterschiedliche Motive: Mal ging es tatsächlich darum, in unübersichtlichen Zeiten Orientierung für das eigene Handeln zu gewinnen, mal stand aber auch die Absicht im Vordergrund, das eigene Handeln als zwingende Konsequenz irgendwelcher „Lektionen“ der Geschichte zu legitimieren.

Um dieses Phänomen in seinem überaus anregenden Facettenreichtum ausleuchten zu können, nimmt die Studie so unterschiedliche Figuren wie Oktavian/Augustus, Gregor VII., Neville Chamberlain, John F. Kennedy, Léopold Sédar Senghor, Ulrike Meinhof oder Joschka Fischer in ihren jeweils spezifischen Denkhorizonten und Entscheidungskonstellationen in den Blick.

Besonderes Interesse finden dabei jene Konstellationen, in denen das Bemühen um die vermeintlich „richtigen“ Lehren der Vergangenheit nicht zu Ergebnissen geführt hat, die wir im Rückblick als erfolgreich oder ethisch akzeptabel empfinden würden.

Die hinter dem Projekt stehende Hoffnung besteht darin, dass vielleicht gerade die Auseinandersetzung mit diesen problematischen Fällen des „Lernens aus der Geschichte“ dazu beitragen kann, unseren Blick (selbst-)kritisch dafür zu schärfen, welche Art der handlungsleitenden Orientierung wir bei nüchterner Betrachtung in historischer Erkenntnis finden können – und wo wir Gefahr laufen, Geschichte lediglich als vorgeschobenes „Argument“ (Hans-Werner Goetz) oder gar als „Waffe“ (Edgar Wolfrum) zu verwenden.

Historisches Lernen in Deutschland und Frankreich:

Positionen – Praktiken – Synergien

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© Centre Ernst Robert Curtius

Sandra Müller-Tietz

Dissertationsvorhaben

Die beiden Nachbarländer Deutschland und Österreich teilen nicht nur eine gemeinsame Sprache, sondern auch kulturelle Aspekte und eine gemeinsame Geschichte – vom Habsburgerreich über eine in vielerlei Hinsicht parallele Geschichte des Nationalismus und Liberalismus im 19. Jahrhundert hin zur verflochtenen Geschichte des 20. Jahrhunderts und den beiden Weltkriegen. Aber wird diese gemeinsame, parallele und verflochtene Geschichte in der aktuellen Geschichtskultur auch als solche erzählt? Oder finden vielmehr jeweils nationale Vereinnahmungen statt? Das Qualifikationsprojekt untersucht ausgehend von einer Theorie eines gemeinsamen Erinnerungsraumes die Frage, ob und wie in Schulbüchern für den Geschichtsunterricht aus Deutschland und Österreich eine gemeinsame oder getrennte Geschichte der beiden Staaten erzählt wird. In den Blick genommen werden dazu aktuell für den Geschichtsunterricht zugelassene Schulbücher, die als multi-mediale, hochverdichtete und hochkomplexe Narrationen eine politisch legitimierte (National-)Geschichte erzählen und damit integraler Bestandteil der Geschichtskultur sind.


Victor Söll

Dissertationsvorhaben

Deutschland und Frankreich teilen dieselben demokratisch-liberalen Grundwerte wie
Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Rechtstaatlichkeit und Menschen- und Bürgerrechte, um
einige zu nennen. Eine „éducation à la démocratie“ verbunden mit der Herstellung eines
offiziellen Gedächtnisses ist an Schulen deshalb geradezu konstitutiv, bedenkt man, dass
Bildung Staatsangelegenheit ist. John Dewey verweist bereits 1916 auf den Zusammenhang
zwischen Democracy und Education. In seinem gleichnamigen Werk ist von der „Demokratie
als Lebensform“ die Rede: Demokratie nicht als Regierungsform, sondern als freie, soziale
Interaktion (Dewey 1916).


Der demokratische Staat kann anders als das autoritäre Regime allerdings nicht auf die
Singularität einer Erinnerung setzen, da diese lebendig ist und von der Dialektik mit ihrer
permanenten Infragestellung lebt (Horkheimer und Adorno 1996[1944/1969]). Normativ-
erzieherische und kontrovers-analytische Dimensionen stehen hier also in einem scheinbar
unüberwindbaren Spannungsfeld zueinander, das insbesondere die Herangehensweise an den
gesellschaftswissenschaftlichen Geschichtsunterricht bestimmt. Überwinden lässt sich dieses
Spannungsfeld jedoch, sobald die historische Methode der kritischen Quellenanalyse als
Ausdruck einer Normativität verstanden wird und als ein Instrument zur mündigen
Demokratiebildung (Audigier 2018).


Obwohl beide Nationen eine liberal-demokratische Normativität teilen, werden für den
Unterrichtszusammenhang unterschiedliche geschichtsdidaktische Schlussfolgerungen
gezogen: In Frankreich zielt die Tradition des „l’esprit critique“ auf die argumentative
Überwindung eines vorschnellen Urteils, während in Deutschland im Konzept des
„Geschichtsbewusstseins“ das Urteil als Höhepunkt, ja Vollendung einer Arbeitsphase
angesehen wird, so die Arbeitshypothese (erste Indizien bei Geiss 2018).
Trotz des regen Austauschs zwischen deutschen und französischen
Geschichtsdidaktiker*innen, der auch in er Herausgabe des ersten binationalen
Geschichtsbuchs im Jahr 2006 mündete, gibt es bislang noch keine vergleichenden
Forschungsvorhaben, die die geschichtsdidaktischen Praktiken aus einer deutsch-französischen
Perspektive in den Blick nehmen. Mit einer empirischen Arbeit, die die Unterrichtspraxis in
Deutschland und Frankreich anhand von Fallstudien videografisch untersucht, soll hier
Abhilfe geschaffen werden. In einer qualitativen Studie, die die Unterschiede der
institutionellen Rahmenbedingungen berücksichtigt, soll mit dem komparatistischen Blick der
„regards croisés“ (Lequintrec und Geiss 2006) geprüft werden, ob und inwieweit die
historische Untersuchung sich unterscheidet und wie beide Nationen mit dem Blick auf den
Geschichtsunterricht im Nachbarland voneinander profitieren können.


Florian Helfer

Dissertationsvorhaben

Die mit der kolonialen Vergangenheit verbundene kollektive Erinnerung in europäischen Gesellschaften hat sich seit der Jahrtausendwende auf fundamentale Weise verändert. Dazu haben neben dem postcolonial turn ein allgemeiner memory boom (Winter 2000) sowie eine zunehmende Globalisierung der Erinnerung (z.B. Conrad 2019; Levy/Sznaider 2001) beigetragen. Kritische Perspektiven auf die Kolonialzeit verdrängen einerseits eine nach wie vor vorhandene, tradierte Kolonialnostalgie, andererseits aber auch eine „postkoloniale Amnesie“ (e.g. Melber/Kößler 2018; Zimmerer 2011), wie sie verschiedentlich beklagt wird. Die Doktorarbeit spürt diesen Diskursverschiebungen im Verlauf dreier Jahrzehnte nach. Dabei greift sie in erster Linie auf Presseerzeugnisse von Zeitungen und Magazinen mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen über zwei Fallbeispiele zurück: dem historischen Erbe des Völkermords an den OvaHerero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904–1908) und dem Mau-Mau-Krieg in der britischen Kolonie Kenia (1952–1957). Mittels der histoire croisée (Werner/Zimmermann 2002) will die Arbeit transnationale Momente ebenso wie nationenspezifische Ursachen für die Veränderung des postkolonialen Erinnerungsdiskurses identifizieren. Außerdem kommen als theoretische Ansätze die Historische Diskursanalyse, agenda setting und framing als Konzepte der Medienwirkungsforschung sowie jüngere Ansätze der postcolonial und memory studies zum Tragen, wie etwa Michael Rothbergs multidirectional memory (2009).

Vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass die öffentliche Rezeption von sogenannten trigger events der postkolonialen Erinnerung zugenommen hat. Zwar ebbt die Berichterstattung über ein bestimmtes Ereignis oder Thema nach einem anfänglichen Schub normalerweise wieder ab. Meine Hypothese ist hingegen, dass die Diskursereignisse der letzten drei Jahrzehnten schrittweise zu einer größeren Sensibilität gegenüber postkolonialen Themen geführt haben. Gleichzeitig hat sich die Frequenz solcher Ereignisse erhöht. Die Doktorarbeit untersucht die Gründe und den Verlauf dieser Entwicklung. Dadurch schärft sie den Blick für die gegenwärtige Relevanz der kolonialen Vergangenheit und für den globalen Transformationsprozess unserer Erinnerung an eine von Gewalt geprägte, geteilte Geschichte.


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