Der erste „Historikertag“ in München, der damals noch unter der Bezeichnung „Erste Versammlung deutscher Historiker“ firmierte, wurde 1893 einberufen, um gegen den neuen preußischen Geschichtslehrplan von 1892 zu protestieren. Der Historiker Ludwig Quidde rekonstruiert in einem längeren Tagungsbericht die vielen Beiträge, die sich gegen eine politische und staatliche Vereinnahmung des Geschichtsunterrichts einsetzten.[1]
Gleichwohl gab es auch auf dem Kongress Stimmen, die sich dafür aussprachen, den Geschichtsunterricht nationalpolitisch einzuspannen. Eine der ersten Reden hielt der Gymnasialdirektor Richard Martens, der Geschichte lediglich als Instrument zur Erziehung zum „Staatsbewußtsein” begriff. In dem als Quelle des Monats ausgewählten Auszug aus seinem theoretischen Lehrwerk Neugestaltung des Geschichtsunterrichts auf höheren Lehranstalten von 1892 können Schülerinnen und Schüler reflexiv über die Aufgabe des Geschichtsunterrichts in der Gesellschaft nachdenken. Während sie das übergeordnete Ziel des „Staatsbewußtseins“ als nationalpolitisch-wilhelminischen Begriff fassen und dekonstruieren, kann die Quelle darüber hinaus aber auch grundsätzlich zu der Frage hinführen, wie sinnbildend Geschichtsunterricht, respektive Geschichte selbst sein soll?[2] Auch bietet es sich in diesem Zusammenhang an, kontrastiv den Beutelsbacher-Konsens der 1970er-Jahre miteinzubeziehen.
[1] Quidde, Ludwig: Nachrichten und Notizen, in: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 154–202; 323–370. Auch online einsehbar unter: https://de.wikisource.org/wiki/Nachrichten_und_Notizen_(DZfG_Bd._9) [29.07.2025].
[2] Hierzu möchten wir auf einen jüngeren Aufsatz von Prof. Dr. Peter Geiss aufmerksam machen, der gegen Sinnbildungen zum Erkenntnisgewinn im Geschichtsunterricht argumentiert und für eine postnarrativistische Geschichtsdidaktik plädiert: Wie „sinnbildend“ soll Geschichte sein? Historisches Lernen und Geschichtskultur zwischen Kritik und Affirmation, in: Manuel Köster, Holger Thünemann (Hrsg.): Geschichtskulturelle Transformationen. Kontroversen – Akteure – Zeitpraktiken, Köln 2024, S. 249–270.